Du hast vielleicht meinen letzten Blog zum Thema „Führung im System“ gelesen.
Hier beschreibe ich die Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit seinen Führungs-Blick auf die Gesamtzusammenhänge der vier Interaktionsebenen zu richten: Individuum, Team, Organisation, Umfeld. Das Verstehen dieser Zusammenhänge ermöglicht eine bessere Einschätzung heutiger Entscheidungen auf zukünftige Entwicklungen.
Diese Woche hatte ich Gelegenheit mit dem Geschäftsführer der DRK-Pflegedienste Hannover gGmbH, Herrn Damitz zu sprechen. Von großem Interesse begleitet hat sich das Unternehmen auf den Weg gemacht, in einem Pilotprojekt die 4-Tage-Woche in einer Sozialstation einzuführen.
Im Interview wollte ich systemische Antworten finden, welche aktuellen und zukünftigen Auswirkungen diese Entscheidung auf die verschiedenen Akteure hat.
Bevor ich mich dieser Sicht widme, möchte ich mit dir einige Fakten zum Pilotprojekt teilen.
Die DRK-Pflegedienste Hannover gGmbH teilt das Problem, welches derzeit die meisten ambulanten Pflegedienste zum Nachdenken und Handeln auffordert: Wie gelingt es uns, neue Mitarbeiter zu gewinnen und bestehende Mitarbeiter langfristig an das Unternehmen zu binden?
Die Antworten auf diese Herausforderung fallen unterschiedlich aus.
Hier einige aktuell am Markt zu beobachtende Ansätze:
- Schaffung von agilen Strukturen, um die Selbstwirksamkeit zu steigern
- Einführung von Belohnungsprogrammen, um Eigeninitiative und Engagement direkt zu vergüten
- Verbesserung der Work-Life-Balance z.B. durch die Reduzierung von Überstunden
- Professionalisierung der Führungsarbeit u.a. durch die Steigerung der Wertschätzung
- Verbesserung der Bezahlung u.a. durch Ausschöpfung der Tarifmöglichkeiten
Die Antwort der DRK-Pflegedienst Hannover gGmbH: 4-Tage-Woche seit dem 1. Juli 2023. Schnell waren alle im Arbeitsmodus. Gespräche und grünes Licht vom Betriebsrat. Auswahl einer Sozialstation (Entscheidungskriterien: hohe Stabilität, gute Wirtschaftlichkeit). Umstellung der Dienstpläne innerhalb von 2 Wochen! Kommunikation mit den Kunden über geänderte Einsätze. Wissenschaftliche Begleitung durch einen Betriebsarzt – finanziert durch die AOK-Niedersachsen.
Der systemische Blick fragt:
Welche Auswirkungen hat die 4-Tage-Woche auf die Interaktionsebenen heute?
Team:
Von den 29 Mitarbeiter:innen waren 27 mit der Pilotierung einverstanden. Eine Mitarbeiterin verbleibt aufgrund ihrer Kinderbetreuungszeiten bei der 5-Tage-Woche.
Organisation:
Hier blicken einige Mitarbeiter:innen etwas „eifersüchtig“ auf diese Form der Flexibilisierung der Arbeitszeit.
Das Unternehmen investiert derzeit ca. 7,5% der Arbeitszeit ohne Gegenfinanzierung.
Umfeld:
Erste Mitarbeiter:innen sind zum DRK abgewandert. Mitbewerber sehen sich im Wettbewerbsnachteil und klagen an.
Es ist zu beobachten, dass der Pilot bereits jetzt relevante Auswirkungen auf die verschiedenen Interaktionsebenen hat.
Welche Auswirkungen hat die 4-Tage-Woche auf alle Interaktionsebenen nach der 1-jährigen Pilotphase?
Hier einige Fragen.
- Was sind die nächsten Schritte, wenn die 4-Tage-Woche erfolgreich ist?
- Gibt es ein Zurück zur 5-Tage-Woche?
- Sind Mischformen möglich und sinnvoll?
- Wie reagieren die Wettbewerber – führen sie gleichfalls eine 4-Tage-Woche ein?
- Wie verändert sich die Mitarbeiterzufriedenheit im Zeitverlauf in den Teams der Organisation?
Wahrscheinlich erscheint mir: Mitarbeiter, die wegen einer 4-Tage-Woche kommen, verlassen (wahrscheinlich) das Unternehmen wegen einer 5-Tage-Woche.
Somit gibt es m.E. kein Zurück – zumindest für eine Sozialstation.
Ich bewundere den Mut von Herrn Damitz und dem Team diesen innovativen Schritt zu gehen. Was auch immer geschieht. Das Projekt wird die Organisation wachsen lassen. Die bisher engmaschige Kommunikation hilft sicher dabei, sich den Antworten auf die skizzierten Fragen zu nähern. Dabei wünsche ich viel Erfolg.